Der Weg zurück in die Normalität wird Mitarbeiter und Unternehmen vor größere Herausforderungen stellen. Das „neue Normal“ wird ein anderes sein als vor der Corona-Krise. Die Ausnahmesituation schafft einen Paradigmenwechsel sowohl für Mitarbeiter als auch für Unternehmen. Beide Seiten werden mit neuen Abläufen konfrontiert, die innerhalb kürzester Zeit adaptiert werden müssen. Diese Notsituation ruft beim Thema New Work eine völlig neue Dynamik hervor und eröffnet die Chance, tradierte Prozesse zu überprüfen, und die Arbeitswelt den aktuellen Bedürfnissen und Zielen anzupassen. Potenziale erkennen und nach der Krise für das Unternehmen zu nutzen, lautet die Devise. Sieben signifikante Veränderungen zeichnen sich bereits jetzt ab.
These 1: Enormer Digitalisierungsschub
Die Corona-Pandemie hat in vielen Unternehmen notgedrungen für einen enormen Digitalisierungsschub gesorgt. Firmen, die sich bisher gescheut haben, den nächsten Digitalisierungsschritt zu gehen, oder bei denen die Dringlichkeit zur Digitalisierung branchenbezogen nicht gegeben war, sind nun gezwungen, sich ernsthaft mit dem Einsatz digitaler Hilfsmittel auseinander zu setzen. Bislang ungenutzte Potenziale – ob bei Prozessen, in der Arbeitsverteilung aber auch in der Kommunikation – werden derzeit aufgezeigt und im Optimalfall zukunftsgerichtet überdacht. Die dadurch in Gang gesetzte Dynamik wird in den kommenden Monaten und Jahren eine Vielzahl an Branchen in eine Umbruch- und Aufbruchstimmung versetzen. Sie bekommen so die Chance, teils festgefahrene Abläufe und Strukturen effizienter oder zielgerichteter zu gestalten. Covid-19 fungiert vielfach als Testlauf für eine neue Ära der Digitalisierung.
These 2: Virtual Meeting versus Face-to-Face
Die Krise zeigt einmal mehr, dass Meeting nicht gleich Meeting ist. In der Praxis lässt sich gerade deutlich erkennen, für welche Art an Besprechungen man sich zwingend von Angesicht zu Angesicht treffen sollte und welche durchaus virtuell stattfinden können. Auch hier ergeben sich wiederum Chancen, welche die Unternehmen nach der Krise aktiv nutzen können. Sie sollten Besprechungen ernsthaft auf den Prüfstand stellen und differenzieren. Dazu zählt auch die Frage, inwiefern es zielführend ist, zu jeder Routinebesprechung diverse Parteien von unterschiedlichen Standorten an einen Besprechungsort zu schicken. Kosteneffizienz und Zeiteinsparung sprechen für sich. In Bezug auf die Umwelt sind virtuelle Meetings zudem gelebter Klimaschutz. Besprechungen dagegen, die kreative Prozesse im Team freisetzen sollen, stoßen in Zeiten von Home Office meist an ihre Grenzen. Hier sind Meetings vor Ort die eindeutig bessere Wahl. Die Zusammenarbeit von Angesicht zu Angesicht ist bei kreativen Prozessen, aber auch in vielen anderen Bereichen, unumgänglich und sollte nicht durch digitale Lösungen substituiert werden. Der persönliche Austausch und die Interaktion bei Treffen vor Ort haben das Potenzial, erheblichen Mehrwert für alle Beteiligten zu schaffen. Diese Begegnungen werden nach der Corona-Krise vermutlich einen höheren Stellenwert erfahren und im besten Fall effektiver ausgeschöpft.
These 3: Home Office hat seine Grenzen
Home Office öffnet vielen Unternehmen die Tür in eine neue Ära des Arbeitens. Unternehmen, die agiles Arbeiten aufgrund der bestehenden Prozesse bisher nicht in Betracht gezogen haben, wurden durch die Umstellung auf das mobile Arbeiten von zu Hause mit neuen Möglichkeiten konfrontiert. Jedoch stößt das Heimbüro als eine der vielen Facetten des agilen Arbeitens unweigerlich an seine Grenzen und muss nicht per se in dieser Form weitergeführt werden. Essentielle Aspekte wie die informelle Kommunikation und die persönliche Interaktion brechen bei dieser Variante meist gänzlich weg. Daher sollte Homeoffice als eine von zahlreichen Optionen des agilen Arbeitens gesehen werden, die noch nicht genutzte Potenziale des Unternehmens freisetzen kann. Es gilt nun, eine Bilanz aus den neugewonnenen Erkenntnissen zu ziehen und Chancen individuell für jede Firma zu adaptieren.
These 4: Das Büro als Hub & Home
Nach einigen Wochen der Einschränkung und Isolation ist ersichtlicher denn je, wie wichtig das Büro als sozialer Knotenpunkt für den Austausch und als Plattform der Kreativität und Innovation ist. Bei aller Unabhängigkeit, die die Digitalisierung mit sich bringt, suchen Menschen weiterhin Stabilität und Nähe. Der Mensch als soziales Wesen sehnt sich auch in der Arbeitswelt nach einem Ort, der Identifikation stiftet. Eine inspirierende Arbeitsumgebung dient als emotionales Bindemittel zum Unternehmen und steigert das Wohlbefinden. Der Trend zur Hybridisierung, also zur Schaffung einer Mischform der vorher getrennten Systeme „Hub“ (sozialer Knotenpunkt Büro) und „Home“ (Heim), wird fortschreiten, sodass das Büro zunehmend auch den Bedarf an Zugehörigkeit erfüllen muss. Mitarbeiter werden das Büro – und hier insbesondere die Begegnungs- und Kommunikationsflächen – neu entdecken und neu bewerten.
Diese These ist in einer Forschungskooperation mit CSMM und dem ISF – Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung entstanden.
These 5: Möglichkeitsraum statt Einzelzelle
Auch wenn derzeit Vereinzelung und Abstandhalten das allgemeine Bild prägen – die bisherige Entwicklung in Richtung Großraumbüro als Möglichkeitsraum, also als Raum der Entfaltung, der Begegnung und der Teamarbeit, wird sich fortsetzen. Eine Rückkehr zum Einzelbüro ist sehr unwahrscheinlich und auch nicht zielführend in Bezug auf Wohlbefinden, Identifikation und Produktivität der Mitarbeiter. Was jetzt gefragt ist, ist die Förderung von Teamgeist und Innovationsfähigkeit. Unternehmen, die marktfähig bleiben wollen, benötigen Raum für Empathie, Kreativität und Erfindergeist und keine Einzelzellen zum Abarbeiten.
These 6: Downsizing des Arbeitsplatzes stößt an seine Grenzen
Das mit der Corona-Krise einhergehende Social Distancing wird auch in Bezug auf die Größe des Arbeitsplatzes Einfluss haben. Die kontinuierliche Reduktion der Fläche pro Mitarbeiter wird vorerst einen radikalen Stopp erfahren. Viele Unternehmen werden zu enge oder zu dicht besetzte Büros überdenken. Im Hinblick auf künftige Krisen werden viele Unternehmen die Anzahl der Mitarbeiter in einem Raum verringern beziehungsweise die Abstände zwischen ihnen vergrößern. Aber nicht nur das Abstandsthema wird die Planung neuer Büros maßgeblich beeinflussen. Auch das Thema Hygiene wird ein Aspekt sein, der neu in die Bürogestaltung einfließen wird.
These 7: Bewährungsprobe für Co-Working und Desk-Sharing
Eine Vielzahl an Geschäftsmodellen – Auto, Wohnung, Arbeitsplatz – ist über die letzten Jahre auf gemeinschaftliche Nutzung ausgelegt worden. In der aktuellen Krisensituation kommen diese Modelle ins Wanken. Kürzlich noch gehypte Co-Working-Flächen bekommen einen bitteren Beigeschmack. Die Idee des Co-Working, eine dynamische und flexible Fläche zu schaffen, bei der fremde Personen einen Raum teilen, wird bei der Rückkehr aus dem Homeoffice auf eine Bewährungsprobe gestellt werden. Auch die innerbetriebliche Variante des Desk-Sharings wird eine neue Legitimation im Unternehmen durchlaufen müssen. Nichtsdestoweniger eröffnen sich durch die flexibel nutzbaren Co-Working-Angebote den Unternehmen neue Möglichkeiten: Sie könnten Ergänzungsflächen anmieten, um ihre Mitarbeiter aus den jetzt zu dicht besetzten bisherigen Büros zu verteilen.
Der Artikel ist ein Gastbeitrag von Timo Brehme, Gründer und Geschäftsführer des Architektur- und Beratungsunternehmens CSMM. Für weitere Infos zu CSMM hier klicken.