Evolution Design gehört zu den innovativsten, renommiertesten und erfolgreichsten Gestaltern von Bürolandschaften. Das vielfach ausgezeichnete Architektur- und Designbüro mit Sitz in Zürich und London wurde im Jahr 2004 von Stefan Camenzind gegründet. Ein Gespräch mit ihm und Creative Director Tanya Ruegg darüber, was Bürolandschaften leisten müssen, um die dort arbeitenden Menschen bestmöglich zu unterstützen und warum es sich lohnen kann, die Butter an bestimmten Stellen besonders dick aufs Brot zu schmieren.
Frau Ruegg, Herr Camenzind, was kann eine Firma tun, um ein möglichst attraktives Arbeitsumfeld zu schaffen?
Tanya Ruegg: Neben der Erfüllung der funktionalen Bedürfnisse ist es auch wichtig dafür zu sorgen, dass sich der Arbeitnehmer mit seinem Arbeitsplatz im umfassenden Sinne identifiziert. Er soll sich Zuhause fühlen. Damit meine ich nicht, dass es so gemütlich sein soll wie auf der Wohnzimmercouch. Sondern dass er sich erkannt, aufgehoben und am richtigen Platz fühlt – als Teil einer Community, die die gleichen Werte und Ziele teilt.
Das ist etwa bei Google vielleicht ein bisschen verspielter, als bei anderen Firmen, aber diese Punkte sind überall gleich.
Stefan Camenzind: Studien zeigen, dass der Mitarbeiter mit seiner Arbeit nicht nur Geld verdienen will, sondern auch eine Sinnhaftigkeit anstrebt – und er dann, wenn er diese in seinem Arbeitsleben findet, auch deutlich effizienter, produktiver, motivierter und auch weniger oft krank ist, als wenn das nicht der Fall ist. Es gibt also auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht gute Gründe, den Mitarbeitern das Gefühl zu geben, einer Firma anzugehören und mit Menschen zusammenzuarbeiten, deren Werte sie teilen. Deshalb sind die Anforderungen an die Gestaltung von Bürolandschaften im Vergleich zu zehn oder zwanzig Jahren sicher gestiegen.
Wie würden Sie in diesem Zusammenhang die spezifische Handschrift von Evolution Design beschreiben?
Camenzind: Wir versuchen immer nutzerspezifisch zu arbeiten. Man muss die Firma spüren und gleichzeitig müssen sich auch die Nutzer selbst spüren. Das ist unsere Handschrift, und diese kann von Projekt zu Projekt ganz unterschiedlich sein. Es mag sein, dass wir etwas mehr mit Farbigkeit und mit unterschiedlichen Materialien arbeiten als andere. Aber das liegt daran, dass es einfach ein menschliches Bedürfnis ist, nicht in sterilen, öden Räumen sein Arbeitsleben zu fristen, sondern in lebendigen. Dass die meisten Menschen unterschiedliche Atmosphären und Haptiken schätzen, diese Erkenntnis verbindet alle unsere Projekte. Unsere persönliche Handschrift ist also gewissermaßen das Abbild der ubiquitären menschlichen Bedürfnisse. Wir versuchen ein System zu schaffen, in dem jeder Mitarbeiter optimal auf seine individuellen Bedürfnisse reagieren kann. Dies bietet aus unserer Sicht die idealen Voraussetzungen dafür, dass ein Mitarbeiter sich wohl- und wertgeschätzt fühlt. Ist das so, dann kann er auch das Beste aus sich für seinen Arbeitgeber herausholen. Es geht uns darum, den Mitarbeiter als Menschen zu erfassen.
Ruegg: Es geht natürlich nie einfach um neue Büroräume. Alle unsere Projekte haben neben dem Planungsaspekt auch einen Kommunikations-, Planungs-, HumanRessources-, Change- und IT-Aspekt, welche für den Erfolg des Projekts elementar wichtig sind. Über diese Elemente denken wir immer gemeinsam nach. Manchmal schaffen wir auch unterschiedliche Arbeitsplatzumgebungen, obwohl diese im Sinne des Activity-Based-Working-Ansatzes gar nicht nötig sind, weil alle Mitarbeiter das gleiche tun, etwa in einem CallCenter. Trotzdem braucht der Mensch nun mal Abwechslung und trägt den Wunsch, sich entscheiden zu können, in sich. Also haben wir für einen Kunden zum Beispiel verschiedene exakt gleich ausgestattete Umgebungen für dieselbe Tätigkeit geschaffen. Da können sich die Mitarbeiter aussuchen, ob sie in einem Fischerdorf-Ambiente ihrer Arbeit nachgehen möchten, in einer floralen Umgebung oder einer, die an Starbucks erinnert.
Welches Kernbedürfnis teilen die meisten Mitarbeiter aus Ihrer Sicht unabhängig von dem, was sie tun?
Camenzind: Was dem Mensch am wichtigsten ist: Selbstbestimmung! Das macht man im normalen Leben ja auch, entscheiden, wo man seinen Kaffee trinkt oder seine Zeitung liest. Das war bis vor Kurzem im Büro nicht möglich. Wie viele Arbeitsplatzumgebungen in welchem Betrieb dann tatsächlich geschaffen werden sollen, hängt dann von den konkreten Anforderungen ab. Mal sind es zwei, mal acht. Da gibt es keine Faustregel.
Es ist uns wichtig, den Menschen als Ganzes zu betrachten und ihm ein Umfeld zu bieten, das nicht nur seinen funktionalen, sondern auch seinen sozialen und emotionalen Bedürfnissen Rechnung trägt.
Welche Bedürfnisse die jeweiligen Arbeitnehmer dann haben, hängt dann in der Tat von den effektiven Bedürfnissen ab.
Wie ermitteln Sie die konkreten Bedürfnisse der Mitarbeiter Ihrer Auftraggeber?
Ruegg: Durch intensive Befragungen der Mitarbeiter und umfassende Workstyle-Analysen, in denen wir der Frage nachgehen: Was braucht ein Mensch, um bei dem, was er macht, produktiv zu arbeiten?
Entscheidend ist es, den Mitarbeiter wirklich zu verstehen und ihn dann mit auf diese Reise zu nehmen. Ohne, dass die Mitarbeiter hinter dem Projekt stehen, funktioniert es nicht. Sie kennen vielleicht den Ausspruch „Planung kann schnell sein, aber der Mensch ist langsamer.“
Welche Rolle spielen bei allen ganzheitlichen Betrachtungen Kostenaspekte?
Camenzind: Die sind natürlich sehr wichtig, wir arbeiten ja nicht im luftleeren Raum. Deshalb gilt es immer, präzise zu analysieren, mit welchen Elementen wir die größtmögliche Zufriedenheit erreichen und am ehesten ein Gefühl der Wertschätzung vermitteln können. Tische, Bodenbeläge oder Trennwände sind natürlich wichtig – aber nicht immer die entscheidenden Messkriterien für die Mitarbeiter. Es kann zum Beispiel bei einem Projekt mit einer Fläche von 60.000 Quadratmetern erheblich wirksamer sein, zwei oder drei sündhaft teure Kaffeemaschinen bereitzustellen, die aus fünfzig Komponenten bestehen, als großflächig die teuersten, formschönsten und an den Ecken verglasten Trennwände zu installieren. Manchmal kann es sich lohnen, seine Mittel punktuell einzusetzen, die Butter gewissermaßen nicht gleichmäßig aufs Brot zu streichen, sondern an bestimmten Stellen extra dick.
Zu Ihren Kunden gehört das Unternehmen Google für das Sie etwa die Standorte in Zürich, Tel Aviv und Dublin gestalteten. Was ist gleich und worin unterscheiden sich die Arbeitsplätze an diesen Orten?
Ruegg: Neben diesen von Ihnen genannten wirklich großen Standorten, die fast schon Campusse sind, haben wir auch Google-Büros in Moskau, Oslo und Stockholm gestaltet. In allen sechs Standorten ist zum einen die Firmenphilosophie von Google als weltweit operierenden Konzern zu erkennen. Gleichzeitig ist aber auch immer der besondere ortsspezifische Charakter spür- und erlebbar.
Wie ermitteln Sie jene regionalen Besonderheiten?
Ruegg: Die Themen für die ortsspezifische Gestaltung kamen nicht von uns, sondern wurden von uns durch Befragungen der Nutzer ermittelt. Wir setzen diese Themen oder Mottos dann in architektonische Sprache um. Am Ende repräsentieren die von uns gefundenen Lösungen nicht uns als Architekten, sondern die befragten Nutzer.
Wie sieht die erwähnte ortsspezifische Gestaltung konkret aus?
Ruegg: Nehmen wir Google Tel Aviv. Dort hatten sich die Nutzer gewünscht, in jedem Geschoss, eine bestimmte Facette des Landes darzustellen – und zwar immer in Verbindung mit persönlichen und emotionalen Komponenten, die die dort arbeitenden Menschen prägen. In der Etage, die Tel Aviv selbst darstellt, haben wir versucht, dem Thema Glück auf abstrakte Weise ein Gesicht zu geben. Denn Tel Aviv ist eine glückliche Stadt.
Ein ganz anderes Beispiel ist Google Moskau. Hier hatten die Menschen kein großes Interesse, sich mit der Gegenwart Russlands zu identifizieren. Stattdessen haben die Leute sich Märchenlandschaften- und Gestalten, die sie aus ihrer Kindheit schon kennen, ausgewählt. Zum Beispiel die Märchen von Pushkin. So finden sich an den Wänden hier Märchenwälder, Hexen, mythische Eichenbäume, sprechende Katzen oder auch die russische Version von Winnie Puuh, der ganz anders aussieht, als ich ihn aus meiner Kindheit kenne.
Camenzind: Das war für uns als Mitteleuropäer interessant zu beobachten wie präsent bestimmte russische Märchengestalten im Alltag auch für Erwachsene sind, etwa in der Konsumgüterindustrie. Diese Geschichten sind einfach Teil der russischen Kultur. Erwähnten Eichenbaum haben wir zu einem Zentrum des Zusammenkommens gemacht, wo sich die Mitarbeiter treffen und austauschen können. Das war ein spannender Punkt unserer Zusammenarbeit mit Google: Neben der funktionalen Ebene und der Vermittlung der Google-Kultur, die an allen Standorten gleich ist, den Neuankömmlingen – bei Google wechseln die Mitarbeiter häufiger ihren Standort – auf diese Weise auch etwas über den besonderen Charakter des jeweiligen Ortes nahezubringen.
Es ist ein brütend heißer Sommertag in Zürich. Beschreiben Sie doch bitte einmal den Raum, aus dem Sie gerade mit mir sprechen.
Camenzind: Es ist ein helles, loungeartiges Sitzungszimmer. Gemütliche Stühle und ein Stehtisch. Da ist die Hitze einigermaßen erträglich.
Und wie ist die Arbeitsumgebung bei Evolution Design selbst gestaltet?
Ruegg: Wir arbeiten in hellen und freundlichen, aber auch schlichten, funktionalen Räumen. Wir wollen ja andere Firmenkulturen erfassen und diese dann in Architektur und ein entsprechendes Narrativ umsetzen. Dafür brauchen wir um uns herum Weißflächen, ohne dekorative Elemente, die uns nicht ablenken und uns davor bewahren, die Stimmungen, die bei uns herrschen auf unsere Kunden zu übertragen.
Camenzind: Trotzdem sind wir immer von einer gewissen temporären Buntheit umgeben – denn wir bilden die Gestaltung unserer jeweiligen Projekte immer auf kleiner Fläche nach.
Im übrigen kann bei uns jeder kommen und gehen, wann er will. Natürlich haben wir Termine und Deadlines. Aber wo und wann gearbeitet wird, steht unseren Mitarbeitern frei. Allerdings ist unser Anspruch an unsere eigene Gestaltung schon der, dass die Mitarbeiter das Gefühl haben, hier vor Ort am besten arbeiten zu können und deshalb oft hier sind, denn die meisten Dinge werden im Team gemacht. Aber wer Ruhe oder Inspiration lieber mal woanders sucht, darf das gerne tun.
Unser Büro hat mit seinen 300 Quadratmetern natürlich gewisse Limitationen an Rückzugsmöglichkeiten, die gilt es zu akzeptieren. Sich mit kurzfristig nicht veränderbaren Konstanten zu arrangieren, ist ein wichtiger Bestandteil des Arbeitsalltags – das versuchen wir unseren Kunden schließlich auch immer zu vermitteln.
Frau Ruegg, Herr Camenzind, vielen Dank für das Gespräch.
Titelfoto: Evolution Design, Fotograf: Peter Würmli
Autor: Jonas Demel
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