Stendhal war überwältigt von der Schönheit, die ihn in der Stadt Botticellis, Michelangelos und da Vincis ansprang. Die florentinischen Krankenhäuser haben sich heute längst auf die Behandlung der dem Zauber dieses Ortes geschuldeten Schwindel- und Verwirrungszustände eingestellt.
Bislang ist es wohl noch nicht gelungen, einen Arbeitsplatz zu gestalten, dessen ästhetische Wucht so atemberaubend ist, dass sie Schwindelgefühle auslöst. Doch was nicht ist, kann ja noch werden. Eines Tages hat vielleicht mal eine mit üppigen Budget ausgestattete Unternehmens-Initiative Glück. Die damit verbundene Risikobewertung wäre sicher spannend.
Bereits seit mehreren Jahrtausenden tobt der Kampf zwischen Form und Funktion. Die ältesten Niederschriften hierzu stammen aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert vom römischen Architekten Marcus Vitruvius Pollio, der in seinem Werk De architectura festhält, dass sämtliche Strukturen die Anforderungen firmitas (Festigkeit– womit auch Sicherheit gemeint war), utilitas (Nützlichkeit) und venustas (Schönheit) in genau dieser Reihenfolge erfüllen müssen. Der als ‚Vater des Hochhauses‘ bekannte amerikanische Architekt Louis Sullivan postulierte viele Jahrhunderte später mit großem Nachdruck ‚form follows function‘ und erhob diese Maxime sogar zum Gesetz. (Wenngleich hier wohl eher der Wunsch Vater des Gedanken war.)
Inzwischen finden sich eine Menge an modernen Beispielen, in denen die Form den taktischen Sieg davontrug. Die beinahe nutzlose, kaltes und ungemütliches Licht spendende Glühbirne in ihrem zerbrechlichen und völlig unpraktischen Körper steht sinnbildlich für die Arbeitsplatzgestaltung dieser Dekade. Unglücklicherweise gibt es viele weitere Beispiele.
Mit seinem Plädoyer für einen Arbeitsplatz, der zuallererst inklusiv, sicher und bequem sein soll, von dem aus wir für unseren Tätigkeiten bequem, einfach und kontrolliert nachgehen können ist The Elemental Workplace hingegen in mancher Hinsicht eine Bekräftigung der Vitruv‘schen Prinzipien. Demnach ist ein funktionstüchtiger - ergo elementarer - Arbeitsplatz nicht zwangsläufig mit hohen Kosten verbunden und weder von Standort noch Branche oder seiner geplanten Nutzung abhängig. Dies steht in starkem Kontrast zu den im Internet kursierenden Hochglanzbildern von mit Spielzeug, technischen Spielereien und Produktneuheiten überfrachteten glitzernden Räumlichkeiten, die vor allem jugendlichen (oder sich so fühlenden) Köpfen bevölkert werden.
Warum brauchen wir einen exzellenten Arbeitsplatz?
Wir sind in vielen Bereichen noch immer Sklaven des Produktivitätsgedankens aus dem frühen 20. Jahrhunderts. Die meisten Unternehmen haben heute jedoch viel breiter gefächerte Zielvorstellungen; beispielhaft hierfür stehen die seit kurzem in großer Zahl entstehenden B-Corporations. Ein Grund mehr, dass Unternehmen sich vermehrt fragen sollten, wie Arbeitsplätze zum größtmöglichen wechselseitigen Nutzen gestaltet werden können. Die Antwort lässt sich in sechs E´s zusammenfassen. Drei E´s sind Frank Duffys Bausteinen der Arbeitsplatzstrategie entlehnt, drei stammen aus jüngerer Zeit:
Effizienz in Form verantwortungsbewusster Kosten- und Raumplanung unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen.
Effektivität, so dass Mitarbeiter einfachen Zugang zu allen erforderlichen Ressourcen erhalten und weil alles reibungslos funktioniert jeden Tag Bestleistung erbringen können.
Engagement und Identifikation mit der DNA des Unternehmens durch einen Arbeitsplatz, der das Wesen der Organisation widerspiegelt.
Erhalt der Umwelt durch Maßnahmen zur Minimierung unseres ökologischen Fußabdrucks.
Im Zeitalter der digitalen Instant-Gerichtsbarkeit ist es essentiell, die das Unternehmen prägenden Werte auch über seine Arbeitsplatzgestaltung demonstrativ nach außen zu tragen.
Energie für unsere Mitarbeiter und eine tiefgehende, weit gefasste Vorstellung des Begriffs Wohlbefinden. Nämlich eine, bei der dessen herkömmliches Verständnis nur ein Baustein von vielen ist.
Über diese 6 E´s entsteht ein Leitmotiv, gespeist aus Fakten und Überzeugungen: das ‚Warum‘. Die daraus resultierenden Handlungsanweisungen sind anpassungsfähig und wachsen mit dem Unternehmen, das in verschiedenen Phasen seiner Entwicklung und Reifung die einzelnen Aspekte unterschiedlich gewichten wird. Aus ihnen muss nicht zwingend Schönheit erwachsen, ihre Priorität ist, einen funktionalen Beitrag zur Organisation und ihren Menschen zu leisten.
Wie können wir einen exzellenten Arbeitsplatz gestalten?
Es gilt, gleich den Vetruv‘schen Prinzipien, das Gesetz, dass ein solcher Arbeitsplatz nicht entsteht, indem wir eine andere Organisation kopieren, getreu dem Motto Was dort passt, kann hier nicht falsch sein. Eine stimmige Ästhetik kann uns manchmal zu dem Gedanken verleiten, dass die Lösung bereits existiert und wir sie nur übernehmen müssen. Die Entdeckung des Rads wurde unfreiwillig zum Symbol dieses trägen Trugschlusses. Sicherlich hat es uns die Arbeit erleichtert. Wir konnten Dinge anders machen, einfach weil wir mit dem Rad die Möglichkeit hatten, es zu tun und uns so vom Joch der tristen Plackerei befreien konnten. Der Fehler bestand darin zu glauben, dass das Rad die Lösung war. Dabei war nicht das Rad die Lösung, sondern der Prozess, der zur Entwicklung des Rades führte.
Wir schaffen also einen außergewöhnlichen Arbeitsplatz, indem wir Designprinzipien folgen, die großräumig und möglichkeitsorientiert ausgerichtet sind; und indem wir uns bewusst machen, dass jede Arbeitsplatztransformation Veränderungen mit nachgelagerten Aktivitäten nach sich zieht und nicht umgekehrt. Wir sind keine Verwalter der Arbeitsplatzgestaltung, wir sind der Motor der Veränderung.
Was ist ein exzellenter Arbeitsplatz?
Ein solcher Arbeitsplatz entsteht, indem zwölf simple, allgemeingültige und realistische Faktoren berücksichtigt werden, die den Rahmen für unsere Produktivität bilden: Tageslicht, Konnektivität, Platz, Auswahlmöglichkeit, individueller Gestaltungsraum, Kontrolle, Gelegenheit zur Erholung und zur Anregung der Sinne, Komfort, Inklusion, Hygiene und Aufbewahrung. Einige Aspekte sind eher breit gefasst, andere setzen sehr eng umrissene Schwerpunkte - aber keines dieser Elemente ist verzichtbar. Die graphische Darstellung dieser zwölf Elemente gibt zu erkennen, dass jede Organisation ihre Schwerpunkte individuell setzen kann und keine Hierarchie oder Reihenfolge festgelegt werden muss - solange nur alle Aspekte berücksichtigt werden.
Ein ästhetisches oder spezifisches Ziel ist nicht vorgegeben – der Grundansatz lässt noch ausreichend Raum für Individualität und Design. Eigentlich wird durch diese Herangehensweise das Design sogar aufgewertet. Wir sind gezwungen, eine Arbeitsraumlösung zu schaffen, die immer und für jeden funktioniert, und müssen hierfür bereits im Vorfeld alle Eventualitäten durchspielen. Jeder Einzelne verdient einen exzellenten Arbeitsplatz - das ist die oberste Maxime. Ist der Arbeitsplatz noch dazu von Schönheit geprägt: umso besser!
© Der Artikel ist ein Gastbeitrag von Neil Usher, dem Autor des Buches "The Elemental Workplace".
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