Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Ein Naturgesetz, so wahr und banal, wie die Tatsache, dass Zitroneneis schmilzt, Backenbärte wachsen und unser Drucker sich stets dann launisch zeigt, wenn wir ihn am eiligsten brauchen.
Innovationen durchdringen auf selbstverständliche Weise alle Bereiche unseres Lebens. Überall? Es gibt Ausnahmen. Die Gestaltung des Ortes, an dem wir (zieht man die Schlafenszeit ab), gewöhnlich mehr Zeit zubringen als Zuhause: unserem Arbeitsplatz.
Vom Computer mal abgesehen, scheint dort vielerorts die Zeit stehen geblieben zu sein. Schreibtisch, Stuhl, Rollschrank, Telefon. Im Einzel- Zweier- oder Großraumbüro. Sechs bis zehn Stunden täglich. Für alles, was so anliegt.
Visitenkarte nach innen und außen
Die Erkenntnis, dass Ambiente und Architektur unseres Arbeitsplatzes großen Einfluss auf unsere Produktivität haben, ist mittlerweile unbestritten. Umgesetzt wird sie nur schleppend. Dabei sprechen sie Bände über unser Unternehmen. Über Philosophie, Menschenbild, Zukunftsfähigkeit. An drei entscheidende Gruppen, die jeder Betrieb von sich überzeugen muss, wenn er erfolgreich sein will, senden unsere Büros, Flure, Lobbys, Konferenzräume unmissverständliche Signale: Die Mitarbeiter, von deren Einsatz und Ideen alles abhängt. An talentierte, kreative, leistungsbereite Kräfte, die man für sich gewinnen will. Und schließlich dem Kunden.
Die Gestaltung unserer Arbeitsbereiche zu hinterfragen, ist sicher kein schlechter Ratschlag für einen Betrieb, der die besten, glücklichsten und motiviertesten Mitarbeiter für sich gewinnen will. Die Anforderungen unseres Arbeitstags sind zu vielfältig geworden für drei Quadratmeter Bürofläche. Für viele Mitarbeiter ist beispielsweise sowohl der kreative Austausch essentiell, als auch die konzentrierte Abgeschiedenheit oder intime, geschäftskritische Kommunikation. Das alles kann ein einziger Ort kaum leisten.
Chinesische Wasserfolter
Forscher der Mayo Klinik in Rochester, Minnesota, kamen 2016 nach eingehenden Untersuchungen in ihrem extra zu diesem Zweck eingerichteten „Well Living Lab“ zum Schluss: Qualität und Geschwindigkeit bestimmter Prozesse variieren je nach Arbeitsatmosphäre gravierend.
Jenes „Well Living Lab“ ist eine Art Office-Simulation in High-Tech. Per Knopfdruck konnten die Wissenschaftler die Arbeitsbedingungen der Probanden ändern und maßen dabei deren Auswirkungen auf die Produktivität. So wurden nicht nur Raumtemperatur und Licht verändert, sondern auch der Geräuschpegel. Aus in die Decke eingelassene Lautsprecher ertönten Telefonklingeln, das Klappern von Computertastaturen. Eine männliche Stimme, die immer wieder "Patientenarchiv" sagte, als nähme sie gerade einen Anruf entgegen, wirkte auf manche Testpersonen offenbar wie eine milde Form der chinesischen Wasserfolter. Die Ergebnisse deckten sich mit denen verschiedener Arbeitspsychologen zuvor. Das ideale Büro besteht aus bis zu acht Bereichen, die jeweils unterschiedliche Ansprüche des Arbeitsalltags abdecken.
Home-Base und Touchdown
Die Home-Base oder Ruhezone kommt dem klassischen Stuhl-Schreibtisch-Konzept am nächsten. Allerdings ohne Nebengeräusche. Hier kann man sich ungestört in seine Arbeit versenken, wichtige Mails schreiben, Konzepte entwickeln, Planungen vorantreiben.
Wer hier sitzt kann sicher sein: „Hier stört mich keiner.“ Der kommunikationsfreudige Neffe der Home-Base ist der Open-Plan. Hier lassen sich Mitarbeiter nieder, die signalisieren wollen: „Ich arbeite zwar, aber sprecht mich gern an. Dieser offen gestaltete Bereich ist insbesondere für angeregtes Teamwork zu zweit oder dritt vorgesehen. Sollten mehr Mitarbeiter involviert sein, ist ein Besprechungsraum mit einem langen zentralen Tisch ideal. Für Präsentationen oder Schulungen eignet sich die nächstgrößere Einheit, der Versammlungsraum. Drucker, Shredder, Kopierer und die Bevorratung von Arbeitsmaterialien sollten übrigens weder in der Home-Base noch im offenen Arbeitsbereich zu finden sein, sondern gebündelt in einem Ressourcen-Raum. Studien zeigen, dass es sowohl die Effizienz der genutzten Geräte steigert, die Verschwendung von Materialien senkt und zugleich die Ablenkung durch nutzlosen „Kopierer-Schnack“ minimiert. Small-Talk mag gruppendynamisch wertvoll sein, wenn man Zeit und Muße hat. Wird man aber dazu gezwungen, weil man zufällig neben dem Gerät sitzen muss, sieht die Sache schon anders aus. Dagegen ist der offene Breakout-Bereich ein guter Platz für informelle Gespräche. Mit einem Kaffee aus seiner Lieblingstasse oder einem kleinen Imbiss, vom Thai-Lieferdienst. Die Touchdown-Zone ist optimal für Mitarbeiter, die unregelmäßig reinschneien und mal kurz die Mails abrufen oder sich auf ein Meeting vorbereiten wollen.
Vertraulich den Dispo erörtern
Der optimale Platz für vertrauliche Telefonate oder Vier-Augen-Gespräche ist die sogenannte Refuge-Area. Ausgestattet sind diese „Zufluchtsorte“ in der Regel mit mobilem, flexiblem Mobiliar, einem in die Wand integrierten Whiteboard und einem Bildschirm. Um den intimen und vertraulichen Charakter dieses Bereiches zu unterstreichen, können diese in durchsichtige Glaswände eingefasst werden, was diese aussehen lässt wie eine geräumige Telefonkabine. (Die Älteren werden sich erinnern.) Ein guter Ort für wichtige Business-Gespräche oder die diskrete Konversation mit dem Bankberater über den eigenen Dispo.
Nach Expertenmeinung ebenfalls eine unverzichtbare Zone jeder Bürolandschaft: Die Wege dazwischen. Zu etwas Bewegung und Auslauf im statischen Büroleben gibt es eben keine Alternative. Nichts ist so wirksam, um Kreislauf und Sinne mit ein paar Schritten oder Treppen anzukurbeln. Und wenn das Büro dafür zu klein ist? Die folgenden Tipps stammen nicht von der Mayo-Klinik, sondern von uns. Allerdings ohne Gewähr: Entweder den Lieferdienst entlasten und selber laufen. Oder – als Teambuilding-Maßnahme der besonderen Art – hin und wieder mal den Feuermelder aktivieren.
Die 8 Zonen im Überblick
Home Base: Ruhiger Bereich für konzentriertes, fokussiertes Arbeiten
Open Plan: Offener Arbeitsbereich fördert Austausch
Meeting Room: Abstimmungen, Workshops und Trainings
Break-out Area: informelles Arbeit, Pause und Kommunikation
Touchdown: eine Zone für spontanes und flexibles Arbeiten
Refuge Area: ein Rückzugsort für diskrete Gespräche
Resource Room: Equipment und Lager
Die Wege dazwischen: Körper und Geist aktivieren
Header photo: PWC, Basel (design: evolutiondesign, photo: Peter Würmli)
Author: Jonas Demel
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