Event-Tipp
Zu Hause ist es nicht immer am schönsten

Büros erfinden sich neu

„Home sweet home“: Als der US-Amerikaner John Howard Payne 1823 diese Zeilen für ein Lied verfasste, konnte er sich wohl nicht im Traum vorstellen, welche Entwicklung die eigenen vier Wände nehmen würden. Die aktuelle Anspruchshaltung erstreckt sich mittlerweile nämlich auch auf das traute Heim. Die Wohnung soll Schlaf-, Arbeits-, Lebens- und Freizeitort zugleich sein – Stichwort „Home-Office“. Dass die durchschnittlich genutzten 45 Quadratmeter pro Kopf in Deutschland dies leisten sollen, ergibt sich bereits auf den ersten Blick als gewagte Forderung. Home-Office in der jetzigen Form kann keine adäquate Alternative zum Büro sein, wie eine ISG-Umfrage unter 1.000 Beschäftigten bestätigte.

Home-Office: Für viele war es zu Beginn der Corona-Pandemie ein verheißungsvolles Zauberwort. Ob als sicherer Ort gegen Ansteckungen, der Ort besserer Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf oder als günstige Alternative zu den kostspieligen Büroflächen. Spätestens als das Bundesarbeitsministerium laut über gesetzliche Ansprüche auf mobile Arbeit nachdachte, war das Büro nur noch eine Option unter vielen Arbeitsstätten. Nach über einem Jahr seit Pandemieausbruch sind die Lobgesänge jedoch einer nüchternen Betrachtung gewichen. In einer von uns durchgeführten Umfrage unter 1.000 Bürobeschäftigten in Deutschland nannten die Befragten ein Idealmaß von durchschnittlich 3,2 Tagen Büroarbeit pro Woche. Zudem lehnte die große Mehrheit von 60 Prozent die Möglichkeit einer permanenten Tätigkeit von zu Hause aus ab. Mit ihrem Votum stellten sich die Angestellten bemerkenswerterweise gegen ihre gleichzeitig befragten Vorgesetzten: Diese rechneten künftig nur noch mit durchschnittlich 2,7 Tagen persönlicher Anwesenheit im Büro. 

Unsere Umfrageergebnisse wurden durch nachfolgende Befragungen bestätigt. Zuletzt gaben 48 Prozent in einer Fellows-Studie unter 1.000 Büroangestellten in Deutschland an, durch die Tätigkeit in den eigenen vier Wänden unter verstärkten Kopf- und Rückenschmerzen zu leiden. Das Home-Office ist folglich in vielen Fällen nicht mehr als eine zuvor sporadisch, nun aber regelmäßig genutzte Fläche, die für die neuen Anforderungen nicht adäquat umgestaltet wurde. Da das eigene Zuhause nicht unter die Arbeitsstättenverordnung fällt, gab es auf Arbeitgeberseite noch keinen Handlungsbedarf für ergonomisches Mobiliar, technische Verbesserungen oder gar Schallschutzmaßnahmen. „Home-Office“ ist insofern ein Euphemismus, der Bürofunktionen im eigenen Heim nur suggeriert.

Besagte Arbeitgeber kommen nach und nach zu einem Umdenken und entfernen sich von Träumereien einer nur vordergründigen Kosteneffizienz: Unter 1.200 vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) befragten Unternehmen möchten nur 6,4 Prozent ihre Büroflächen verkleinern. Lediglich ein Drittel der Führungskräfte plant die Ausweitung der Home-Office-Möglichkeiten. Anderslautende Ankündigungen bekannter Konzerne sollten hierbei nicht zu Irritationen führen. So gab erst kürzlich Nestlé bekannt, dass der neue Unternehmensstandort in Frankfurt statt 1.000 nur 700 Arbeitsplätze umfassen soll. Unternehmen wie Peugeot oder Siemens teilten bereits zuvor mit, dass mindestens zwei Tage Home-Office zum neuen Standard gehören sollen. Jene Konzerne sind es gleichwohl, die bereits seit einigen Jahren zu den Hauptnutzern von Co-Working-Spaces beziehungsweise flexiblen Büroflächen zählen. Insofern gilt auch hier: Das Büro lebt, es verlagert sich nur.

 

Bleibt also alles beim Alten? Nein, denn die Koexistenz von Büro und Home-Office ist nun etabliert. Die Möglichkeit, zumindest einen Teil der Woche von zu Hause aus arbeiten zu können, wird nicht mehr bestritten werden können. Beide Arbeitsorte müssen aber in puncto Ausstattung aufrüsten. Wettbewerb belebt bekanntermaßen das Geschäft und sorgt für bessere Produkte. Für die eigenen vier Wände werden Arbeitgeber Mobiliar und Technik bereitstellen müssen, um ihren Sorgfaltsverpflichtungen gegenüber den Mitarbeitern auch außerhalb des Büros nachzukommen. Das Büro hingegen darf unter keinen Umständen mehr mangelnde Inspiration und Tristesse vermitteln. Unsere Umfrage zeigte eindeutig: Je ansprechender die Büroflächen, desto produktiver sind die Mitarbeiter. Eine gute Frischluftzufuhr und eine funktionierende IT-Ausstattung zählen hierbei zu den Mindestanforderungen. Wir sind davon überzeugt, dass das Büro sich immer mehr zum Erlebnisort wandeln muss, um in der Konkurrenz zur Wohnung bestehen zu können. Dies bedeutet nicht nur eine ausreichende Fläche für Teamarbeit und informellen Austausch, sondern auch eine gemeinschaftsstiftende Gestaltung. Büros der Zukunft widerspiegeln daher in zunehmenden Maße die Kultur und die Werte, für die das jeweilige Unternehmen steht. Das Büro ist dann nicht mehr nur Arbeitsplatz, sondern ein Ort für erlebbare Gemeinschaft.

Autor Resul Kilic, Head of Frankfurt, ISG Deutschland.
ISG Deutschland, März 2021.